Facebooks Libra: ein Coin voller Widersprüchlichkeiten

Und wieder Facebook. Nachdem wir erst vorgestern über die Krypto-Pläne von Google und Facebook berichtet haben, sind in der Zwischenzeit weitere Details zu Facebooks Kryptowährung Libra bekannt geworden. Und wie bereits in der Vergangenheit an dieser Stelle mehrmals analysiert, wird immer deutlicher, dass Facebook mit seinem Coin einen radikal anderen Weg geht als klassische Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum, Ripple oder Litecoin.
Mehr noch: Facebook sendet Signale aus, die beinahe mehr verwirren als die Krypto-Pläne nachvollziehbar machen.

Widersprüchlichkeit 1: Blockchain mit zentralem Kassabuch?

Distributed Ledger Technologie ist ein Synonym für Blockchain. (Auch wenn die Blockchain eine Distributed Ledger Technik ist.) Das Grundprinzip bei Kryptowährungen lautete bisher: Jeder kann mitmachen, Rechenleistung zur Verfügung stellen und das dezentrale Kassabuch vorantreiben. Nicht so bei Libra: Nur ausgewählte Großunternehmen dürfen mit entsprechender Kapitel- und Rechenleistungs-Ausstattung als Nodes fungieren. Es kontrollieren also nur einige wenige – dezentral geht anders.

Widersprüchlichkeit 2: Big Player machen einen Coin für Arme?

Libra (lat.) heißt Waage und erinnert gleichzeitig an Liberté (franz., Freiheit). Hier soll eine globale Währung entstehen, die solche Werte widerspiegelt.
Im White Paper wird schlüssig angeprangert, dass unser derzeitiges Finanzsystem ärmere Menschen benachteiligt. Sie müssen mehr für finanzielle Services zahlen, ihr hart verdientes Einkommen wird von hohen Gebühren aufgefressen, und sie leiden unter exorbitant hohen Kreditzinsen, wenn sie sich Geld leihen müssen.
Wenn Facebook im White Paper seiner Kryptowährung dermaßen Stellung bezieht, schöpft man beinahe Hoffnung auf mehr Gerechtigkeit auf der Welt. Mark Zuckerberg als Robin Hood?
Diese Hoffnung ist allerdings schnell wieder – sagen wir mal – verunsichert: durch die Gesellschaft hinter Libra. Hier hat Facebook einige Schwergewichte zusammengetrommelt, um die Libra Foundation zu betreiben: Mastercard, PayPal, PayU, Stripe, Visa, Booking Holdings, eBay, Facebook/Calibra, Farfetch, Lyft, Mercado Pago, Spotify AB, Uber Technologies, Inc.; Iliad, Vodafone Group, Bison Trails, Coinbase, Inc., Xapo Holdings Limited, Andreessen Horowitz, Breakthrough Initiatives, Ribbit Capital, Thrive Capital, Union Square Ventures, Creative Destruction Lab, Kiva, Mercy Corps, Women’s World Banking.
Sitz der Foundation ist die Finanzhochburg Genf. Es wird sich zeigen, ob in Schweizer Konferenzräumen das Wohl der benachteiligten armen Menschen im Fokus bleibt.

Widersprüchlichkeit 3: Stablecoin mit Zinsen?

Um alltagstauglich zu sein, muss Libra die Krypto-Kinderkrankheit Kursschwankung loswerden. Daher ist der Coin als Stablecoin konzipiert. Allerdings wird nicht wie etwa bei Tether USDT einfach 1 Coin mit Kurs 1:1 zum US Dollar gerechnet. Bei Libra wird der jeweilige Betrag, um den der Coin gekauft wird, in Cash in eine Reserve gelegt. Diese wird dann angelegt und soll Zinsen bringen. Interessanter Weise wird im White Paper explizit festgehalten, dass es vorkommen kann, dass Libra nicht jederzeit in die lokale Währung zurückgetauscht werden kann.
Libra ist also auch: eine Art Beteiligung an einem Fonds. (Die allerdings auch an Kryptobörsen wie Coinbase gehandelt werden soll.)

Notwendiger Weg oder absichtliche Nebelgranaten?

Libra soll globales spesenarmes Payment per Handy oder sekundenschnelle Transfers via Whatsapp ermöglichen. Und dieses Tool soll möglichst auch allen Menschen zur Verfügung stehen, die derzeit keinen oder einen sehr benachteiligten Zugang zum Finanzsystem haben. Das sind große, schöne Visionen. Und vielleicht bedarf es da, Allianzen mit Partnern aus dem etablierten Finanzsektor und Kompromissbereitschaft etwa bei der Frage der Dezentralisierung.
Denkbar wäre allerdings auch – Verschwörungstheoretiker aufgepasst! –, dass Facebook bewusst mit Libra, Libra Foundation und der geplanten Wallet Calibra den eigenen Namen etwas zurücknimmt und ein paar Nebelgranaten zur Ablenkung wirft. Schließlich wurden erst in jüngster Vergangenheit die Rufe nach einer Zerschlagung des Unternehmens wegen ausufernder Marktmacht laut. Wie wäre das erst mit globaler Facebook-Coin und Facebook-Bank?

Sharing is caring
Sascha Bém
Sascha Bém
Artikel: 358